Dissertation | Original |
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Aus dem Streit hervorgegangen ist ein durch und durch säkularer, laizistischer Text, der angesichts der europäischen Realität zu Recht auf eine «Invocatio Dei», eine Anrufung Gottes, verzichtet und sich stattdessen auf den Geist der Antike, des Humanismus und der Aufklärung beruft. Nur beiläufig wird auf das religiöse Erbe Europas verwiesen, ohne dass dabei die jüdische, christliche und muslimische Tradition in irgendeiner Weise erwähnt wird. Von religiöser Gegenwart ist überhaupt nicht die Rede. [im Original kein Absatz, afl]]
Über die Hintergründe dieser Zurückhaltung lässt sich nur rätseln: Sorge um den laizistischen Staat, Rücksicht gegenüber multireligiösen Gesellschaften oder schlicht Angst vor dem Erstarken des Fundamentalismus? Ehrenwerte Gründe allesamt, die aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein Text vorliegt, der, obwohl er modern sein will, seltsam unzeitgemäß wirkt; ein Text, der weder den eigenen Traditionen noch den Erfordernissen der Gegenwart wirklich gerecht wird. |
Aus dem Streit hervorgegangen ist ein durch und durch säkularer, laizistischer Text, der angesichts der europäischen Realität zu Recht aufeine «Invocatio Dei», eine Anrufung Gottes, verzichtet und sich stattdessen auf den Geist der Antike, des Humanismus und der Aufklärung beruft. Nur beiläufig wird auf das religiöse Erbe Europas verwiesen, ohne dass dabei die jüdische, christliche und muslimische Tradition in irgendeiner Weise erwähnt wird. Von religiöser Gegenwart ist überhaupt nicht die Rede.
Über die Hintergründe dieser Zurückhaltung lässt sich nur rätseln: Sorge um den laizistischen Staat, Rücksicht gegenüber multireligiösen Gesellschaften oder schlicht Angst vor dem Erstarken des Fundamentalismus? Ehrenwerte Gründe allesamt, die aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein Text vorliegt, der, obwohl er modern sein will, seltsam unzeitgemäss wirkt; ein Text, der weder den eigenen Traditionen noch den Erfordernissen der Gegenwart wirklich gerecht wird. |
Europa, das alte wie das neue, verdankt sichnicht nur der griechischen Antike und nicht nur der französischen Aufklärung, sondern ebensosehr jenem Mittelalter, in dem jüdische, christliche und muslimische Denker, allein oder gemeinsam, über den Widerspruch von Glaube und Vernunft nachgedacht und damit jene Aufklärung mit vorbereitet hatten, die bis heute als der große Widerpart des Religiösen gilt.
Europa, das alte wie das neue, ist ein Kontinent, dessen Schicksal - im grausamsten wie im erhabensten Sinne - von Religion und Religionen bestimmt wurde und es vielfach noch immer wird. Dies zu negieren oder zu verdrängen, heißt, einer Geschichtsvergessenheit Vorschub zu leisten, die sich bis in die Zukunft hinein rächt. [im Original kein Absatz, afl] |
Europa, das alte wie das neue, verdankt sich nicht nur der griechischen Antike und nicht nur der französischen Aufklärung, sondern ebenso sehr jenem Mittelalter, in dem jüdische, christliche und muslimische Denker, allein oder gemeinsam, über den Widerspruch von Glaube und Vernunft nachgedacht und damit jene Aufklärung mit vorbereitet hatten, die bis heute als der grosse Widerpart des Religiösen gilt.
Europa, das alte wie das neue, ist ein Kontinent, dessen Schicksal - im grausamsten wie im erhabensten Sinne - von Religion und Religionen bestimmt wurde und es vielfach noch immer wird. Dies zu negieren oder zu verdrängen, heisst, einer Geschichtsvergessenheit Vorschub zu leisten, die sich bis in die Zukunft hinein rächt. |
Und schließlich ist auch Europa, das neue mehr noch als das alte, Schauplatz jener Entwicklung, die man die «Rückkehr des Religiösen» nennt und die gegenwärtig daran ist, die Gesellschaften, nicht nur die amerikanische, nachhaltig zu verändern.
Von alledem kann in einem Verfassungstext selbstverständlich nicht ausdrücklich die Rede sein. Durch den weitgehenden Verzicht auf religiöse Referenz erweckt diese europäische Präambel indes den Verdacht, dass man sich der Bedeutung der Religionen als konstituierender Elemente auch des neuen Europas entweder nicht bewusst ist oder sie willentlich unterschlägt. Damit geht etwas ganz Wesentliches verloren. [im Original kein Absatz, afl] |
Und schließlich ist auch Europa, das neue mehr noch als das alte, Schauplatz jener Entwicklung, die man die «Rückkehr des Religiösen» nennt und die gegenwärtig daran ist, die Gesellschaften, nicht nur die amerikanische, nachhaltig zu verändern.
Von alledem kann in einem Verfassungstext selbstverständlich nicht ausdrücklich die Rede sein. Durch den weitgehenden Verzicht auf religiöse Referenz erweckt diese europäische Präambel indes den Verdacht, dass man sich der Bedeutung der Religionen als konstituierender Elemente auch des neuen Europas entweder nicht bewusst ist oder sie willentlich unterschlägt. Damit geht etwas ganz Wesentliches verloren. |
Religion, sei es nun als Suche nach einer neuen Spiritualität oder als Flucht in fundamentalistische Gewissheiten, hat seit einigen Jahren enormen Auftrieb. Die Aufklärung und die mit ihr einhergehende Entzauberung der Welt sind an Grenzen gestoßen, die Bedürfnisse der Menschen nach dem Unbegreiflichen, dem Göttlichen neu erwacht. Unter dem Eindruck der rasanten technologischen Entwicklung hat sich das Bewusstsein sowohl für «die Grenzen menschlicher Macht»,26 als auch für die Notwendigkeit umfassender Orientierung geschärft. Ethisch-religiöse Positionen sind in den existenziellen Debatten der Gegenwart gefragter denn je. [im Original kein Absatz, afl]
Wer dies, willentlich oder nicht, übersieht, vernachlässigt nicht nur menschliche Grundbedürfnisse, sondern schafft ein Vakuum, in dem Fundamentalismen aller Art gegenüber dem Humanismus und der Aufklärung ein leichtes Spiel haben. Nur beiläufig wird in der EU-Verfassung auf das religiöse Erbe Europas verwiesen. Von einer religiösen Gegenwart ist gar nicht erst die Rede.27 |
Religion, sei es nun als Suche nach einer neuen Spiritualität oder als Flucht in fundamentalistische Gewissheiten, hat seit einigen Jahren enormen Auftrieb. Die Aufklärung und die mit ihr einhergehende Entzauberung der Welt sind an Grenzen gestossen, die Bedürfnisse der Menschen nach dem Unbegreiflichen, dem Göttlichen neu erwacht. Unter dem Eindruck der rasanten technologischen Entwicklung hat sich das Bewusstsein sowohl für «die Grenzen menschlicher Macht», wie es in der Präambel zur entstehenden neuen Zürcher Kantonsverfassung heisst, als auch für die Notwendigkeit umfassender Orientierung geschärft. Ethisch-religiöse Positionen sind in den existenziellen Debatten der Gegenwart gefragter denn je.
Wer dies, willentlich oder nicht, übersieht, vernachlässigt nicht nur menschliche Grundbedürfnisse, sondern schafft ein Vakuum, in dem Fundamentalismen aller Art gegenüber demHumanismus und der Aufklärung ein leichtes Spiel haben. Nur beiläufig wird in der EU-Verfassung auf das religiöse Erbe Europas verwiesen. Von einer religiösen Gegenwart ist gar nicht erst die Rede. |
Übernommen aus: Klara Obermüller, “Gott hat keinen Platz in der europäischen Verfassung”, NZZ am Sonntag, 22. Juni 2003, Seite 17. Link: http://www.nzz.ch/nachrichten/startseite/gott_hat_keinen_platz_in_der_europaeischen_verfassung_1.268200.html Dokumentiert in: Andreas Fischer Lescano, Kritische Justiz 1/2011, 112-119, Nomos Verlag, Februar 2011 (hier wird der Leitartikel der NZZ und nicht der NZZS zugesprochen). Siehe Seite 7 NZZS vom 20. Februar 2011 (online nicht verfügbar). |
Differenzen farblich hervorgehoben
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Aus dem Streit hervorgegangen ist ein durch und durch säkularer, laizistischer Text, der angesichts der europäischen Realität zu Recht auf eine «Invocatio Dei»
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Aus dem Streit hervorgegangen ist ein durch und durch säkularer, laizistischer Text, der angesichts der europäischen Realität zu Recht auf eine «Invocatio Dei»
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Über die Hintergründe dieser Zurückhaltung lässt sich nur rätseln: Sorge um den laizistischen Staat, Rücksicht gegenüber multireligiösen Gesellschaften oder schlicht Angst vor dem Erstarken des Fundamentalismus? Ehrenwerte Gründe allesamt, die aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein Text vorliegt, der, obwohl er modern sein will, seltsam unzeitgemäss wirkt; ein Text, der weder den eigenen Traditionen noch den Erfordernissen der Gegenwart wirklich gerecht wird.
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Europa, das alte wie das neue, verdankt sich nicht nur der griechischen Antike und nicht nur der französischen Aufklärung, sondern ebenso sehr jenem Mittelalter, in dem jüdische, christliche und muslimische Denker, allein oder gemeinsam, über den Widerspruch von Glaube und Vernunft nachgedacht und damit jene Aufklärung mit vorbereitet hatten, die bis heute als der große Widerpart des Religiösen gilt.
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Europa, das alte wie das neue, verdankt sich nicht nur der griechischen Antike und nicht nur der französischen Aufklärung, sondern ebenso sehr jenem Mittelalter, in dem jüdische, christliche und muslimische Denker, allein oder gemeinsam, über den Widerspruch von Glaube und Vernunft nachgedacht und damit jene Aufklärung mit vorbereitet hatten, die bis heute als der grosse Widerpart des Religiösen gilt.
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Europa, das alte wie das neue, ist ein Kontinent, dessen Schicksal - im grausamsten wie im erhabensten Sinne - von Religion und Religionen bestimmt wurde und es vielfach noch immer wird. Dies zu negieren oder zu verdrängen, heißt, einer Geschichtsvergessenheit Vorschub zu leisten, die sich bis in die Zukunft hinein rächt. [im Original kein Absatz, afl]
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Europa, das alte wie das neue, ist ein Kontinent, dessen Schicksal - im grausamsten wie im erhabensten Sinne - von Religion und Religionen bestimmt wurde und es vielfach noch immer wird. Dies zu negieren oder zu verdrängen, heisst, einer Geschichtsvergessenheit Vorschub zu leisten, die sich bis in die Zukunft hinein rächt.
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Und schließlich ist auch Europa, das neue mehr noch als das alte, Schauplatz jener Entwicklung, die man die «Rückkehr des Religiösen»
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Und schließlich ist auch Europa, das neue mehr noch als das alte, Schauplatz jener Entwicklung, die man die «Rückkehr des Religiösen»
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Von alledem kann in einem Verfassungstext selbstverständlich nicht ausdrücklich die Rede sein. Durch den weitgehenden Verzicht auf religiöse Referenz erweckt diese europäische Präambel indes den Verdacht, dass man sich der Bedeutung der Religionen als konstituierender Elemente auch des neuen Europas entweder nicht bewusst ist oder sie willentlich unterschlägt. Damit geht etwas ganz Wesentliches verloren. [im Original kein Absatz, afl]
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Von alledem kann in einem Verfassungstext selbstverständlich nicht ausdrücklich die Rede sein. Durch den weitgehenden Verzicht auf religiöse Referenz erweckt diese europäische Präambel indes den Verdacht, dass man sich der Bedeutung der Religionen als konstituierender Elemente auch des neuen Europas entweder nicht bewusst ist oder sie willentlich unterschlägt. Damit geht etwas ganz Wesentliches verloren.
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Religion, sei es nun als Suche nach einer neuen Spiritualität oder als Flucht in fundamentalistische Gewissheiten, hat seit einigen Jahren enormen Auftrieb. Die Aufklärung und die mit ihr einhergehende Entzauberung der Welt sind an Grenzen gestoßen, die Bedürfnisse der Menschen nach dem Unbegreiflichen, dem Göttlichen neu erwacht. Unter dem Eindruck der rasanten technologischen Entwicklung hat sich das Bewusstsein sowohl für «die Grenzen menschlicher Macht»
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Religion, sei es nun als Suche nach einer neuen Spiritualität oder als Flucht in fundamentalistische Gewissheiten, hat seit einigen Jahren enormen Auftrieb. Die Aufklärung und die mit ihr einhergehende Entzauberung der Welt sind an Grenzen gestossen, die Bedürfnisse der Menschen nach dem Unbegreiflichen, dem Göttlichen neu erwacht. Unter dem Eindruck der rasanten technologischen Entwicklung hat sich das Bewusstsein sowohl für «die Grenzen menschlicher Macht»
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Wer dies, willentlich oder nicht, übersieht, vernachlässigt nicht nur menschliche Grundbedürfnisse, sondern schafft ein Vakuum, in dem Fundamentalismen aller Art gegenüber dem Humanismus und der Aufklärung ein leichtes Spiel haben.
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Wer dies, willentlich oder nicht, übersieht, vernachlässigt nicht nur menschliche Grundbedürfnisse, sondern schafft ein Vakuum, in dem Fundamentalismen aller Art gegenüber dem Humanismus und der Aufklärung ein leichtes Spiel haben.
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Nur beiläufig wird in der EU-Verfassung auf das religiöse Erbe Europas verwiesen. Von einer religiösen Gegenwart ist gar nicht erst die Rede.27.
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Nur beiläufig wird in der EU-Verfassung auf das religiöse Erbe Europas verwiesen. Von einer religiösen Gegenwart ist gar nicht erst die Rede.
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Anmerkungen
- Der Text erstreckt sich in der Dissertation über zwei Seiten (S. 381-382).
- Die beiden Fußnoten in diesem Abschnitt sind bloße Anmerkungen und verraten nichts über seine Herkunft:
- 26 Wie es etwa in der Präambel zur neuen Zürcher Kantonsverfassung heißt.
- 27 Möglicherweise vorausblickend bereits H.Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, 1844: „Die Jungfrau Europa ist verlobt / Mit dem schönen Geniusse / Der Freiheit, sie liegen einander im Arm, / Sie schwelgen im ersten Kusse. / Und fehlt der Pfaffensegen dabei, Die Ehe wird gültig nicht minder – / Es lebe Bräutigam und Braut, / Und ihre zukünftigen Kinder!“
- Obermüller wird anscheinend in der ganzen Dissertation nirgends namentlich erwähnt.
- Obermüller hat eine Entschuldigung von zu Guttenberg verlangt (Welt online 17.2.2011).