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Verfassung und Verfassungsvertrag: Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU

von Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg

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Untersuchte Arbeit:
Seite(n): 203, Zeilen: 01-28
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Seite(n): 7-8, Zeilen:

immer wieder vorgetragenen amerikanischen Forderungen nach größeren Rüstungsanstrengungen seitens der Europäer, aber auch an der Einflussnahme vor allem Frankreichs und Großbritanniens auf die integrationspolitischen Vorstel- lungen Washingtons belegen lässt. [574] Vor diesem Hintergrund charakterisiert G. Lundestad die Position der USA in Westeuropa als „empire by invitation“, womit er zum Ausdruck bringt, dass die amerikanische Einflussnahme auf Westeuropa keineswegs gegen den Widerstand der betroffenen Länder erfolgte, sondern im Gegenteil vielfach auf deren erklärten Wunsch hin zustande kam. Dabei versteht Lundestad „empire“ in Abgrenzung zu älteren Formen direkter Herrschaft wertneutral als hierarchisches System mit einem Zentrum, das auch und vor allem mit Hilfe seiner integrationspolitischen Bemühungen seine Einflusssphäre auf eine Reihe unabhängiger Staaten ausdehnt. [575]

Das insgesamt einigende Bekenntnis zu demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien setzt der Einflussnahme seitens der amerikanischen Vormacht freilich messbare Grenzen und lässt Kritik und Gegenvorschläge der abhängigen Staa- ten nicht von vorneherein aussichtslos erscheinen. [576] Bei allem Einsatz für eine stärkere Integration der europäischen Staaten in den fünfziger Jahren war die amerikanische Politik nicht frei von Brüchen und Widersprüchen. Hatten die USA zunächst noch von den Europäern initiierte supranationale Initiativen unterstützt, als die Europäer sich bereits zurückgezogen hatten, ließen seit etwa 1954 auch die Amerikaner in ihren Integrationsbemühungen nach und konzentrierten sich mehr auf ihr Verhältnis zu Großbritannien und zur NATO. Überhaupt scheint die NATO, nachdem sie sich als leistungsfähiges und erfolgreiches Instrument zur Lösung der inneren und äußeren Sicherheitsprobleme erwiesen hatte, die Westeuropäer der Notwendigkeit enthoben zu haben, gegenüber der Herausforderung des Ostblocks eine politisch voll integrierte Gemeinschaft aufzubauen. Die transatlantische Einbindung garantierte größtmögliche Sicherheit (wenngleich auch eine allzu eingeschränkte Sicht- und Empfindungslage) und machte einen weiteren

immer wieder vorgetragenen amerikanischen Forderungen nach größeren Rüstungsanstrengungen seitens der Europäer, aber auch an der Einflussnahme vor allem Frankreichs und Großbritanniens auf die integrationspolitischen Vorstellungen Washingtons (z.B. bei der gescheiteren supranationalen Umorganisation der OEEC, der Errichtung der EGKS oder beim Scheitern von EVG und EPG) belegen lasse.[15] Vor diesem Hintergrund charakterisiert der norwegische Politikwissenschaftler Geir Lundestad die Position der USA in Westeuropa als „empire by invitation", womit er zum Ausdruck bringt, dass die amerikanische Einflussnahme auf Westeuropa keineswegs gegen den Widerstand der betroffenen Länder erfolgte, sondern im Gegenteil vielfach auf deren erklärten Wunsch hin zustande kam. Dabei versteht Lundestad „empire" in Abgrenzung zu älteren Formen direkter Herrschaft wertneutral als hierarchisches System mit einem Zentrum, das auch und vor allem mit Hilfe seiner integrationspolitischen Bemühungen seine Einflusssphäre auf eine Reihe unabhängiger Staaten ausdehnt.[16] Das Zentrum wie Peripherie-Staaten des amerikanischen „Empire" einigende Bekenntnis zu demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien setzt der Einflussnahme seitens der amerikanischen Vormacht freilich Grenzen und lässt Kritik bzw. Gegenvorschläge der abhängigen Staaten nicht von vorneherein aussichtslos erscheinen. [...] Bei allem Einsatz für eine stärkere Integration der europäischen Staaten in den fünfziger Jahren war die amerikanische Politik nicht frei von Brüchen und Widersprüchen. Hatten die USA zunächst noch von den Europäern initiierte supranationale Initiativen unterstützt, als die Europäer sich bereits zurückgezogen hatten, ließen seit etwa 1954 auch die Amerikaner in ihren Integrationsbemühungen nach und konzentrierten sich mehr auf ihr Verhältnis zu Großbritannien und zur NATO. Überhaupt scheint die NATO, nachdem sie sich als leistungsfähiges und erfolgreiches Instrument zur Lösung der inneren und äußeren Sicherheitsprobleme erwiesen hatte, die Westeuropäer der Notwendigkeit enthoben zu haben, gegenüber der Herausforderung des Ostblocks eine politisch voll integrierte Gemeinschaft aufzubauen. Die transatlantische Einbindung garantierte größtmögliche Sicherheit und machte einen weiteren

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Seite(n): 203, Zeilen: 101-102
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Seite(n): 8, Zeilen:

[574] So z. B. bei der gescheiteren supranationalen Umorganisation der OEEC, der Errichtung der EGKS oder beim Scheitern von EVG und EPG.

(z.B. bei der gescheiteren supranationalen Umorganisation der OEEC, der Errichtung der EGKS oder beim Scheitern von EVG und EPG)

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[574] [...] Siehe auch H.R. Hammerich, Jeder für sich und Amerika gegen alle? Die Lastenteilung der NATO am Beispiel des Temporary Council Comittee 1949 bis 1954, 2003 sowie B. Neuss, Der „gütige Hegemon“ und Europa. Die Rolle der USA bei der europäischen Einigung, in: R.C. Meier-Walser / B. Rill (Hrsg.), Der europäische Gedanke. Hintergrund und Finalität, 2001, S. 155 ff., 157 f., 159 ff.

[575] G. Lundestad, „Empire“ by Integration. The United States and European Integration 1945 –1997, 1998, S. 2 ff. sowie umfassend ders, The United States and Europe since 1945. From „Empire by Invitation“ to Transatlatic Drift, 2003.

[15] Hammerich (2003) nach Patel (2004), S. 5; vgl. Neuss (2001), S. 157f., 159 u. 159-162.

[16] Lundestad (2003) nach Patel (2004a), S. 2.; Lundestad (1998), S. 2-4.

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Seite(n): 203, Zeilen: 110-116
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[576] Insbesondere in Situationen, in denen einzelne europäische Länder sich in ihren existenziellen Grundlagen bedroht sahen, wie dies etwa bei Frankreich angesichts der bei Umsetzung der EVG-Pläne befürchteten militärischen Aufwertung der Bundesrepublik der Fall war, kann auch noch so großer Druck der USA die betroffenen europäischen Staaten nicht zum Einlenken bewegen, vgl. M.J. Hillenbrand, Die USA und die EG. Spannungen und Möglichkeiten, in: K. Kaiser / H.-P. Schwarz (Hrsg.), Amerika und Westeuropa. Gegenwarts- und Zukunftsprobleme, 1977, S. 288 ff., 288.

Insbesondere in Situationen, in denen einzelne europäische Länder sich in ihren existenziellen Grundlagen bedroht sahen, wie dies etwa bei Frankreich angesichts der bei Umsetzung der EVG-Pläne befürchteten militärischen Aufwertung der Bundesrepublik der Fall war, kann auch noch so großer Druck der USA die betroffenen europäischen Staaten nicht zum Einlenken bewegen. [17: Vgl. Neuss (2001), S. 161 ; Hillenbrand (1977), S. 288, Krüger (2003) nach Patel (2004c), S. 7.]

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