Untersuchte Arbeit: Seite(n): 344, Zeilen: 01-33 |
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[Laut E. Fraenkel verstand man zur Zeit der Schaffung der Verfassung unter dem Wort „demokratisch“ lediglich eine unmittelbare Demokratie, wie sie in antiken] Stadtstaaten bestanden hatte und in einzelnen Schweizer Kantonen existierte. Eine auf dem Repräsentativsystem aufgebaute, das Prinzip der Volkssouveränität zum Mindesten theoretisch respektierende Verfassungsform nannte man „Republik“. Nur unter Berücksichtigung dieses Sprachgebrauchs ist es voll verständlich, warum bei der Beratung und Ratifizierung der Verfassung mit solchem Nachdruck darauf hingewiesen wurde, dass die USA zwar ein „republikanisches“, aber kein „demokratisches“ Staatswesen darstellen sollten. [995] Das demokratische Element im Prozess der politischen Willensbildung der USA wird durch die Tatsache gekennzeichnet, dass im Gegensatz zu Kontinentaleuropa die demokratischen Kräfte sich nicht gegen monarchische, aristokratische, bürokratische und militärische Kräfte durchzusetzen, sondern ausschließlich mit der Opposition einer sich in ihren Eigentumsrechten bedroht fühlenden wirtschaftlichen Elite zu rechnen hatten. Zudem war der letztliche Sieg der demokratischen Kräfte nicht durch theoretisch abgeleitete Vorstellungen eines „Gesamtwillens“ beeinflusst, der die Geltendmachung von Partikularinteressen grundsätzlich ausschließt, sondern als eine Erscheinungsform der Wahrnehmung der individuellen Interessen der sozial nicht differenzierten Siedler des neuerschlossenen Grenzraums („frontier“) in Erscheinung trat. Die schrittweise Demokratisierung des amerikanischen Regierungssystems hat dessen rechtsstaatlichen und pluralistischen Charakter nicht beeinträchtigt (– eine Erkenntnis, die im Lichte aktueller amerikanischer Außenpolitik und darin strategisch verankerter „Demokratisierungs-Missionen“ auch spiegelbildlich Aktualität beanspruchen könnte). Ebensowenig wie die Doktrinen Rousseaus den ursprünglichen Verfassungstext bestimmt haben, konnten die Theorien der Französischen Revolution die Fortentwicklung der Verfassungsordnung maßgeblich leiten. Allerdings verbergen sich (auch) in den USA hinter dem Bekenntnis zur Demokratie zuweilen widerstreitende politische (und in der Demokratietheorie inflationär behandelte) Haltungen: Eine plebiszitäre Vorstellung der Demokratie, die von der These ausgeht, dass jede staatliche Hoheitstätigkeit einen Ausfluss eines einheitlichen nationalen „Gemeinwillens“ darstellen und von ihm getragenwerden solle, und eine pluralistische Vorstellung der Demokratie, die von der Vorstellung ausgeht, dass jede staatliche Hoheitstätigkeit die Resultate aus dem Kräftespiel der verschiedenen Gruppen- [willen darstellen und von diesen gebilligt werden solle.] |
[Zur Zeit der Schaffung der Verfassung der USA verstand man unter dem Wort ”demokratisch” lediglich eine unmittelbare Demokratie, wie sie in antiken] Stadtstaaten bestanden hatte und in einzelnen Schweizer Kantonen existierte. Eine auf dem Repräsentativsystem aufgebaute, das Prinzip der Volkssouveränität zum Mindesten theoretisch respektierende Verfassungsform nannte man ”Republik”. Nur unter Berücksichtigung dieses Sprachgebrauchs ist es voll verständlich, warum bei der Beratung und Ratifizierung der Verfassung mit solchem Nachdruck darauf hingewiesen wurde, daß die USA zwar ein republikanisches, aber kein demokratisches Staatswesen darstellen sollten. […] Das demokratische Element im Prozeß der politischen Willensbildung der USA wird durch die Tatsache gekennzeichnet, daß im Gegensatz zu Kontinentaleuropa 1) die demokratischen Kräfte sich nicht gegen monarchische, aristokratische, bürokratische und militärische Kräfte durchzusetzen, sondern ausschließlich mit der Opposition einer sich in ihren Eigentumsrechten bedroht fühlenden wirtschaftlichen Elite zu rechnen hatten; 2) der endgültige Sieg der demokratischen Kräfte nicht durch theoretisch abgeleitete Vorstellungen eines ”Gesamtwillens” beeinflußt war, der die Geltendmachung von Partikularinteressen ausschließt, sondern als eine Erscheinungsform der Wahrnehmung der individuellen Interessen der sozial nicht differenzierten Siedler des neuerschlossenen Grenzraums (”frontier”) in Erscheinung trat. Die schrittweise Demokratisierung des amerikanischen Regierungssystems hat dessen rechtsstaatlichen und pluralistischen Charakter nicht beeinträchtigt. Ebensowenig wie die Doktrinen Rousseaus den ursprünglichen Verfassungstext, haben die Theorien der Französischen Revolution die Fortentwicklung der Verfassungsordnung maßgeblich bestimmt. [...] Nur daß sich hinter dem Bekenntnis zur Demokratie grundverschiedene politische Haltungen zu verbergen vermögen: Eine plebiszitäre Vorstellung der Demokratie, die von der These ausgeht, daß jede staatliche Hoheitstätigkeit eine Emanation (Ausfluß) eines einheitlichen nationalen ”Gemeinwillens” darstellen und von ihm getragen werden solle, und eine pluralistische Vorstellung der Demokratie, die von der Vorstellung ausgeht, daß jede staatliche Hoheitstätigkeit die Resultate aus dem Kräftespiel der verschiedenen Gruppen- [willen darstellen und von diesen gebilligt werden solle. |
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